Rigobert RINK
AVR: Lieber Herr Rink, auf Ihrer Visitenkarte steht, überraschenderweise für mich, unter Ihrem Namen : « Tetraplegiker seit Juli 2002 ». Wieso haben Sie sich für diese genauen Angaben entschieden ?
R. Rink: Normalerweise steht an dieser Stelle auf der Visitenkarte der Beruf oder die Tätigkeit die man ausübt. Leider bin ich aufgrund der Schwere meiner körperlichen Behinderung berufsunfähig. Heute ist meine Tetraplegie mein Job, mein gelähmter Körper, der zwar funktioniert, aber ganz anders als vor meinem Unfall. Ein Fulltime-Job. Meine größte Aufgabe ist auf mich zu „achten“ und alles zu tun, um gesund zu bleiben. Dabei ist es nicht immer ganz leicht, die Gefühle und auch die Symptome die mir mein Körper zeigt, richtig zu deuten. Ja, ich „fühle“, obwohl ich vom Hals abwärts querschnittsgelähmt bin. Mein Körper ist nicht erstarrt oder gefühllos, wie man vielleicht denken mag. Er lebt und reagiert auf seine Umwelt, nur meistens anders als vor der Querschnittslähmung.
Ich will auch damit ausdrücken, dass ich mein Handikap angenommen habe und dazu stehe.
AVR: Wie kann man einen « Tetraplegiker » definieren ?
R. Rink: Die Tetraplegie (von griechisch tetra-, „vier“ und plegé „Schlag, Lähmung“ ist eine Form der Querschnittslähmung, bei der alle 4 Gliedmaßen, also sowohl Beine als auch Arme und Hände, betroffen sind.
Ursache ist meist eine schwere Schädigung des Rückenmarks im Halswirbelbereich. Sie kann traumatisch (Schädigung durch Gewalteinwirkungen von außen – ca. 60 % der Fälle), durch einen Tumor, eine Infektion-oder Erbkrankheit, Entzündungen und anderer Genese (Ursache) oder idiopatisch (ohne eine fassbare Ursache) bedingt sein. Einschränkungen in der Lebensqualität werden vor allem durch Schmerzen/Missempfindungen im Grenzbereich der Lähmung oder darunter verursacht. Diese Schmerzen/Missempfindungen sind brennend, stechend oder auch pochend. Sie sind teilweise permanent oder werden bei Reizung aktiv.
AVR: Was bedeuten diese Einschränkungen für Ihren Alltag ?
R. Rink: Da in Luxemburg immer noch keine persönliche Assistenz anerkannt wird, muss ich in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung leben. Dadurch gibt es für mich erhebliche Einschränkungen. Unter anderem kann ich morgens nicht aufstehen, wann ich will, sondern so wie es in den Ablauf passt, meistens erst gegen 10:00 Uhr 10:30 Uhr. Auch die Uhrzeit, wann ich ins Bett gehen muss, ist auf 21:00 Uhr festgelegt. Immerhin, wenn ich rechtzeitig eine Veranstaltung, die ich besuchen möchte, bekannt gebe (schon 4-5 Wochen vorher), kann ich etwas länger als 21:00 Uhr bleiben. Der letzte Novabus fährt allerdings in der Woche um 22:00 Uhr, freitags und samstags um 0:00 Uhr.
Zusätzliche Einschränkungen sind Veranstaltungen jeglicher Art in Räumen die keinen barrierefreien Zugang haben.
AVR: Sie haben 3 Kinder. Ihre Vaterrolle scheint sehr wichtig für Sie zu sein. Wie konnten Sie sie in den letzten Jahre ausführen ?
R.Rink: Das stimmt. Nach dem Unfall waren die Gedanken an meine Kinder die hauptsächliche Motivation für mich überleben zu wollen. Als die Ärzte mir nach dem Unfall mitteilten, dass ich eine hohe Querschnittslähmung C4/C5 habe, habe ich mich gefragt, wie ich als Vater noch für meine Kinder „sorgen“ kann und was ich überhaupt noch für sie tun kann. Ich war vor dem Unfall in einer Trennungssituation von meiner Frau, mit der war ich 20 Jahre verheiratet. Die Kinder lebten nach der Trennung bei mir.
Heute weiß ich, dass es ganz gleich für meine Kinder ist, ob ich Tetraplegiker bin. Hauptsache ist, ich lebe noch, ich bin auch für sie da, und zwar rund um die Uhr. Sie können mich jederzeit anrufen und mit mir reden oder diskutieren oder mich um Rat fragen. Das allein ist wichtig.
AVR: Haben Sie das Gefühl, dass Sie genügend in Ihrer Vaterrolle unterstützt wurden oder hätten Sie diesbezüglich Vorschläge zu machen ?
R. Rink: Meinen Sie eine Unterstützung durch den Staat? Oder welche Unterstützung? Obwohl ich noch nie arbeitslos war, immer meine Steuern gezahlt habe und nie etwas aus der Staatskasse benötigt habe, wollten mir die deutschen Behörden nach dem Unfall mein Auto, mit dem ich mit Elektrorollstuhl transportiert werden kann, wegnehmen um das Geld in die Staatskasse fließen zu lassen, sozusagen als meinen Anteil an der Erziehung meiner Kinder in Jugendwohngruppen. Das hat mich ganz übel enttäuscht.
Eine erstaunliche, vollkommen inakzeptabele Erfahrung war auch, dass andere Menschen, die selbst nicht einmal Vater oder Mutter sind, mir sagen wollten, was ich meinen Kindern von den Begleiterscheinungen meiner Behinderung zumuten kann und was nicht und was ich in der Erziehung anders oder besser machen sollte.
AVR: Der internationale Tag der Personen mit einer Behinderung sensibilisiert für die Belange der Menschen, die mehr oder weniger eingeschränkt leben müssen. Was möchten Sie gerne an uns alle weitergeben ?
R. Rink: Als überwiegend gesunder Mensch sollte man sich immer wieder klarmachen, wie wertvoll die Gesundheit ist und nicht immer nur über die kleinen Alltags-bzw. Alters-Wehwehchen jammern und klagen. Man sollte jeden Tag genießen, aber sich auch bewusst sein – ohne Panikmache – wie schnell sich alles ändern kann.
AVR: Zurzeit schreiben Sie an einem Buch. Können Sie uns bereits etwas verraten?
R. Rink : Das größte Problem an meinem „neuen“ Leben ist keineswegs, dass ich ohne fremde Hilfe komplett hilflos bin. Schlimme Erfahrungen sind, aufgrund meines Handicaps bevormundet zu werden, nicht als vollwertiger Mensch ernst genommen und respektiert zu werden und die zahlreichen Barrieren des alltäglichen Lebens zu überwinden. Eine schlimme Erfahrung ist es auch für mich, dass manche Menschen in Gesundheitsberufen, sozusagen PROFIS was die Gesundheitserziehung und -fürsorge und die Pflege betrifft, in Krankenbeobachtung unaufmerksam sind, nicht verstehen können und wollen und Ignoranz und Machtspielchen gegenüber Menschen mit einer Behinderung auf ihrer Tagesordnung stehen.
Mein Buch soll Menschen in ähnlichen Situationen motivieren nicht aufzugeben und zu resignieren sowie auf die zuvor genannten Missstände aufmerksam machen, die eigenen vielleicht falschen Handlungsweisen erkennen und reflektieren, damit wir Menschen es künftig besser machen.
AVR : Ein Autounfall hat Ihr Leben geteilt in ein «vorher» und «nachher». Wie haben Sie sich früher vorgestellt ? Oder anders ausgedrückt, womit waren Sie beschäftigt und was war wichtig für Sie ?
R. Rink: Super aktiv. Zeitsoldat in einer Krisenreaktionseinheit, Fallschirmspringer, Läufer, Elektrotechnikstudium begonnen, Ausbildung zum Krankenpfleger und Stationsleiter, nebenberuflich Bildberichterstatter für eine Zeitung, Mitglied im Gemeinderat, Ehemann und Familienvater. Wichtig war für mich immer mit meinen Tätigkeiten einen sinnvollen und positiven Beitrag für meine Mitmenschen zu leisten.
Als Mensch, der sehr an Wissenschaften interessiert ist und für den Menschlichkeit und Freundschaft in vorderster Reihe stehen, habe ich mich schon in meiner Jugend entschlossen, „jeden Tag ein besserer Mensch zu werden“. Mal nähere ich mich dem Ziel, mal gelingt es, mal auch ganz und gar nicht ;-).
AVR : Sie waren öfters unterwegs mit unserer Vereinigung um junge Menschen aufzuklären, wie ein Augenblick der Unaufmerksamkeit im Strassenverkehr das eigene Leben und das der Familie grundliegend verändern kann. Was versprechen Sie sich von diesen Workshops ?
R. Rink: Menschen lernen oft nur, wenn sie es am eigenen Körper erfahren. Dann ist es aber allerdings oft zu spät. Aufklärung und Sensibilisierung halte ich für ganz wichtig, um Unaufmerksamkeit (offensichtlich mein Fehler, der zum Unfall führte), unangemessene, unangepasste Fahrweise (zu riskant und/oder zu schnell) oder aber auch vielleicht Angeberei zu vermeiden und sich bewusst zu machen, was die Folgen sein können.
AVR: Auf Ihrer Visitenkarte leuchtet eine riesige Blume in goldgelben Farben und darüber der Spruch: « glaube an dich-und alles ist möglich ! » Im vielen Hinsichten haben Sie eine aussergewöhnliche Visitenkarte ! Vielen Dank, lieber H. Rink für diesen mutigen Zuspruch und auch für dieses Gespräch. Wir wünschen Ihnen alles Gute für die Zukunft !
Durch das Gespräch führte Marie-Paule Max der Association nationale des Victimes de la Route AVR