Loni P.
M.: – Liebe Frau Loni Pletschette, ich habe Sie im Hinblick auf den Internationalen Tag der Personen mit einer Behinderung um ein Interview gebeten, da Sie in meinen Augen zu den unsichtbaren behinderten Menschen gehören, die in unseres Gesellschaft leben. Begegne ich Ihnen beim Einkaufen oder im Kino, dann denke ich sicher nicht an Behinderung, sie wirken sehr normal, aber ihr Leben hat sich fundamental nach einem Verkehrsunfall verändert und Sie behaupten von sich, dass Sie nicht mehr sind wie früher.
Wann war diese Autokollision?
Loni P.: – Vor 11 Jahren, damals war ich 29 Jahre alt. Ein junger Fahrer, der teilweise auf meiner Strassenseite in einer Kurve unterwegs war, und dem ich nicht mehr ausweichen konnte, hat diese Kollision verursacht.
M.: – Was waren die unmittelbaren Folgen für Sie?
Loni. P.: – Ich war etwa 2 Monate lang im Krankenhaus, davon 3 Wochen in einem künstlichen Koma. Ich habe meine Arbeitsstelle in einem Optikerladen aufgeben müssen, da ich viele Fähigkeiten verloren habe: ich habe eine Konzentrationsschwäche und eine grosse Gedächnisschwäche. Ich habe den Geruchsinn verloren, der Geschmacksinn ist mir, Gott sei Dank, erhalten geblieben.
M.: – Was sind die Langzeitfolgen?
Loni P.: – Mein psychischer Zustand wird mit „maniaco-dépressif“ beschrieben. Lebe ich in der Manie, dann bin ich aufgedreht, rauche eine Zigarette nach der anderen und habe das ständige Bedürfnis zu reden. Ich rufe meine Familie und meine Freunde mehrmals täglich an, manchmal sogar nachts, da ich kein Zeitgefühl habe. Ich will sie nicht belästigen, aber ich habe einfach dieses Bedürfnis und kann mich nicht bremsen. Sie sind alle sehr verständnisvoll. Schlafen tue ich kaum, manchmal 2-3 Stunden pro Nacht, dann fange ich 10 unterschiedliche Arbeiten an, die ich aber nicht zu Ende bringe. Aber eigentlich geht es mir während dieser Phase gut. Zur Manie gehört auch für mich: kaufen, kaufen kaufen….
Schlimm ist dagegen die depressive Phase, die mich alle 2-4 Monate befällt und etwa eine Woche anhält. Dann fehlt es mir an Kraft und Antrieb. Ich habe immer schon im Vorfeld Angst vor dieser Phase. Nach vielen Krankenhausaufenthalten, inklusive im Ausland und nach vielen Versuchen mit vielen Arzneien konnte ich noch keine richtige Verbesserung meines Zustandes erlangen.
M.: – Würden Sie von sich sagen, dass sie behindert sind?
Loni P.: – Eigentlich nicht, an den Tagen wo es mir so geht wie heute, dann ist alles für mich in Ordnung. Aber dass ich meine Arbeitsstelle aufgeben musste, das war das Schlimmste für mich! Ich denke auch immer wieder an den Tag der Kollision zurück. Ich habe keine körperlichen Schmerzen, das empfinde ich als ein Plus.
M.: – Leben Sie autonom?
Loni P.: – Grösstenteils ja. Meine Schwester lebt in einer Wohnung im selben Haus. Sie hilft mir wenn ich sie brauche, sie ist mir eine gute Stütze und meine beste Freundin.
M.: – Haben Sie regelmässige Verpflichtungen oder Engagements?
Loni P.: – Ich arbeite 4 mal die Woche 2 Stunden als „bénévole“ im „Haus vun den Kanner“. Es gefällt mir gut dort.
M.: – Welche Botschaft würden Sie gerne an andere betroffene Menschen an diesem Welttag weiter geben?
Loni.P.: – Ich habe immer wieder versucht, mich aus jeder Krise wieder hoch zu rappeln und mir zu sagen: „es wird schon wieder besser werden“. Es kann sehr hilfreich sein ein Tagebuch zu führen. Früher habe ich mir regelmässig eine halbe Stunde zum Schreiben genommen. Ich lese sehr gerne in meinen alten Tagebüchern, sie zeigen mir was ich damals durchlebt und gefühlt habe.
M.: – Welche Empfehlung geben Sie den professionnellen Fachkräften (Ärzte, Pfleger, Sozialarbeiter, Betreuer, Psychologen…etc)?
Loni P.: – Es ist von grosser Wichtigkeit sich Zeit zu nehmen für den Patienten oder Klienten.
M.: – Welchen persönlichen Wunsch haben Sie für die Zukunft?
Loni P.: – Ich würde sehr gerne bei einem Tierarzt aushelfen oder als Tierpfleger. In einem Optikerladen Menschen beraten wenn sie Brillen anprobieren, das wäre ein Wunsch von mir.
Aber ich weis nicht, ob ich das jemals wieder halbtags schaffen kann!
M.: – Liebe Frau Loni Pletschette, Sie sind ein sehr mutiger Mensch und Sie sprechen sehr ehrlich über sich und ihre Probleme, sie bekennen sich dazu. Ich bedanke mich sehr herzlich für dieses spontane und aufrichtige Gespräch und hoffe, dass sich der eine oder andere Wunsch für Sie erfüllt.
Durch das Interview führte Marie-Paule Max, coodinatice bei der Association Nationale des Victimes de la Route AVR