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Sarah CLEMENT

“Urteilt nicht sondern fühlt mit und hört zu!”

Gespräch mit Sarah Clement zum internationalen Tag der Personen mit einer Behinderung am
3. Dezember 2012

AVR: Liebe Sarah, Sie gehören zu den Menschen, mit einem so genannten unsichtbaren Handicap. Auf der Strasse fallen Sie nicht auf, sondern werden als “normalen, gesunden Menschen” gesehen. Doch Sie hatten vor rund 4 Jahren einen sehr schweren Verkehrsunfall, bei dem Sie fast Ihr Leben verloren hätten. Dieser Tag hat Ihr Leben von Grund auf verändert. Können Sie sich noch an diesen Tag erinnern?

Sarah Clement: Ich kann mich nicht mehr an jenen Tag erinnern, weder an den Unfall, noch an das, was vorher passiert ist. Ich kann mich eigentlich an so gut wie nichts mehr aus meinem vorherigen Leben erinnern. Ich erinnere mich jedoch an alles, was mit Pferden zu tun hat. Am Anfang habe ich sehr oft noch vom Aufprall geträumt, diese Erinnerung habe ich noch.

AVR: Welche Verletzungen haben Sie durch den Unfall erlitten?

Sarah Clement: Gehirnblutungen, ein gebrochenes Genick, gebrochene Rippen und innere Blutungen, äusserlich hatte ich nur ein blaues Auge. Ich hatte ein Schädelhirntrauma, Konsequenzen dieser Verletzung sind ein verlorener Orientierungssinn und Gedächtnisprobleme… etc.

Während zwei Monaten war ich hospitalisiert, vier Wochen davon in einem künstlichen Koma. Nachher folgten etliche Monate Rehabilitation. Ich kann mich jedoch nur sehr bruchstückhaft daran erinnern.

AVR: Sie haben eine sehr tiefe und raue Stimme, ist das eine Konsequenz vom Unfall?

Sarah Clement: Ja, ich musste intubiert werden, dadurch wurden meine Stimmbänder verletzt. Am Anfang war meine Stimme noch schlimmer, man konnte mich fast nicht verstehen und es kostete mich sehr viel Mühe und Energie um mich mitzuteilen. Nach ungefähr zwei Jahren wurde ich operiert, ich kann jetzt besser sprechen, doch meine Stimme ist bei weitem nicht mehr wie früher. Jetzt habe ich mich aber mit meiner Stimme auseinander gesetzt und sie akzeptiert.

AVR: Inwiefern hat der Unfall Ihr Leben verändert?

Sarah Clement: Mein Leben hat sich sehr stark verändert: ich kann mich nicht mehr an mich von vor dem Unfall erinnern. Ich glaube doch, dass ich nicht die Sarah von vorher bin. Das Einzige, was mich noch mit meinem früheren Leben verbindet, ist meine Liebe zu den Pferden. Ich wollte eigentlich Tierarzt werden, doch mein Kopf hat zu sehr gelitten um so ein Studium zu vollziehen. Meine Leidenschaft zu reiten ist auch sehr eingeschränkt, da mein Genick durch eine Schraube fixiert ist. Doch ich habe die Möglichkeit anders mit Pferden zu arbeiten. Zur Zeit mache ich ein “service volontaire civil” bei der Vereinigung “De Leederwon asbl”. Ich arbeite mit Pferden, übernehme die Stallarbeit und helfe bei der Betreueung der Menschen auf dem Huifbedrijden. Infos gibt es bei www.leederwon.eu.

AVR: Beschreiben Sie sich selbst als behindert?

Sarah Clement: Jetzt stehe ich zu meinem Handicap. Ich habe jedoch sehr viele Probleme damit, dass man die Behinderung nicht sieht und manche Menschen sie daher in Frage stellen. Manchmal wünsche ich mir, man könnte sie sehen. Doch die Folgen des Schädelhirntraumas sieht man nicht mit dem blossen Auge.

AVR: Was würden Sie gerne anderen Menschen mitteilen?

Sarah Clement: Ich habe bereits schlechte Erfahrungen gemacht da man mir mein Handicap nicht ansieht. Deshalb möchte ich gerne daran erinnern, dass man Personen nicht nur auf ihr Äusseres beurteilen sollte. Jeder Mensch ist normal, manche haben nur in einigen Bereichen Schwierigkeiten. Man sollte fühlen und zuhören.

Nichts sollte man als selbstverständlich ansehen, sondern für jeden Tag dankbar sein. Das Leben kann sehr kurz sein.

AVR: Was ist Ihr Wunsch für die Zukunft?

Sarah Clement: Ich würde gerne eigenständig werden und meine Zukunft mit Pferden verbringen.

AVR: Was beschäftigt Sie momentan am Meisten?

Sarah Clement: Ich nehme das, was Andere mir sagen, als bare Münze. Durch den Unfall bewerte ich die Dinge nur noch mit schwarz und weiss, ich sehe nicht mehr das Graue. Ich würde sehr gerne wieder das Graue, das was zwischen hell und dunkel liegt, sehen.

AVR: Wünschen Sie dem Gespräch etwas beizufügen?

Sarah Clement: Ich sehe in dem Unfall auch etwas Gutes. Er hat mir ermöglicht, das Leben mit anderen Augen zu sehen und neu anzufangen.

AVR: Liebe Sarah, ich danke Ihnen für dieses Gesrpäch und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Zukunft

Durch das Gespräch führte Katrin Biltgen.